Mindestlohn für mindestens 2.200 Vollzeitbeschäftigte im Main-Kinzig Kreis, wirklich?

Mindestens 2.200 Vollzeitbeschäftigte (die erfassten sogenannten Aufstocker) im Main-Kinzig-Kreis profitieren vom Mindestlohn von 8,50 Euro verkündete Landrat Erich Pipa in der Kreistagssitzung im Dezember. Dadurch werde der Main Kinzig Kreis schätzungsweise 2 Millionen Euro jährlich an Sozialleistungen wie Wohngeld etc. sparen, so Pipa. Hinzu kämen noch die Teilzeitbeschäftigten.
Die Kreistagsfraktion der LINKEN hat sich die Zahlen genauer angeschaut und kommt zu einem anderen Ergebnis.

"Der gesetzliche Mindestlohn soll jetzt kommen. Union und SPD wollen ihn ab 2015 einführen. Im Grundsatz ein begrüßenswerter sozialpolitischer Fortschritt", so der Fraktionsvorsitzende Andreas Müller. "Für rund sechs Millionen Beschäftigte, die heute zu Hungerlöhnen arbeiten müssen, sind 8,50 Euro eine Verbesserung."

Positiv ist, dass es bei der Einführung des Mindestlohns bislang keine regionalen Differenzierungen geben soll, auch keine nach Branchen oder Berufsgruppen. Jedoch sollen bis 2017 Tarifregelungen, die geringere Stundenlöhne als 8,50 Euro vorsehen, bestehen bleiben. Damit werden faktisch Gewerkschaftsmitglieder, die unter noch laufende Tarifverträge fallen, schlechter gestellt als unorganisierte Beschäftige. Eigentlich sind gegenteilige Regelungen gewerkschaftliches Ziel. Von dieser schrägen Vorgehensweise sind nach Schätzungen aus Gewerkschaftskreisen höchstens zehn Prozent der Beschäftigen mit weniger als 8,50 Euro betroffen.

Negativ ist aber, dass der Mindestlohn viel zu spät kommt und der Betrag ist mehr als anachronistisch. Der DGB hat die Forderung von 8,50 Euro im Jahre 2010 aufgestellt. Diese hätte eigentlich jedes Jahr gemäß dem verteilungsneutralen Spielraum angepasst werden müssen. Dann läge 2015 der gesetzliche Mindestlohn bei 9,70 Euro. Eine Erhöhung des Betrages von 8,50 Euro wird der Möglichkeit nach frühestens ab 2018 (!) in Aussicht gestellt. Faktisch werden also acht Jahre lang "Nullrunden" verordnet. Kein Tarifpolitiker würde es wagen seinen Mitgliedern so etwas zuzumuten. Bei Berücksichtigung des verteilungsneutralen Spielraumes (nur 2 Prozent Inflation und 1 Prozent Produktivitätssteigerung) müsste der Mindestlohn 2018 mindestens auf 10,77 Euro erhöht werden.
Aus Sicht der Linken ist die Forderung von 8,50 Euro ohnehin zu niedrig. 10 Euro fordert DIE LINKE seit 2009. Auch auf dem letzten Gewerkschaftskongress von ver.di 2011 wurde diese Marke als perspektivisches Ziel formuliert. Nimmt man den verteilungsneutralen Spielraum als Maßstab für Erhöhungen der 10-Euro-Forderung, dann müsste der Mindestlohn 2015 11,50 Euro und 2018 12,50 Euro betragen.
Laut Berechnungen soll die Einführung des Mindestlohnes zu einer Stärkung der Kaufkraft um 19 Milliarden Euro führen. Damit wird der nachfragewirksame Konsum jedoch lediglich um 0,9 Prozent erhöht. Hiervon werden allerdings die Einsparungen in den Kommunen und Landkreisen bei den Sozialausgaben und die des Bundes bei den Aufstockungsleistungen abzuziehen sein. Damit ist klar, dass Gesamtwirtschaftlich der in Aussicht gestellte Mindestlohn nur einen geringen Beitrag zur Stärkung der Binnennachfrage leistet.

"Schlimmer ist jedoch, dass die Betroffenen oft selber keinen messbaren Einkommenszuwachs durch den Mindestlohn haben werden, es werden viel weniger direkt vom Mindestlohn profitieren, als die von Landrat Pipa genannten 2.200," stellt der Fraktionsvorsitzende Andreas Müller fest. Meist würden lediglich verdeckte Subventionen an Unternehmen, die auf Kosten der Beschäftigten arbeiten abgebaut. Die LINKE Kreistagsfraktion hatte deshalb schon 2009 und nochmal 2012 einen Antrag "Fairgabe" im Kreistag eingebracht, um bei öffentlichen Ausschreibungen Sozialstandards einfordert. Leider wurde dieser Antrag vom Kreistag ebenso abgelehnt wie ein Vergabegesetz auf Landesebene. So gilt weiterhin, dass der Billigste und nicht der Beste, auch im öffentlichen Bereich, den Auftrag bekommt.

Müller stellt deshalb fest: "Um das deutsche Lohndumping zu überwinden, brauchen wir nicht nur einen Mindestlohn von zehn, perspektivisch zwölf bis 13 Euro, vielmehr müssen über mehrere Jahre Tariflohnerhöhungen von mindestens sechs Prozent für alle Beschäftigen möglich werden. Was würde alleine im Main Kinzig Kreis passieren, wenn der Mindestlohn von 10 Euro bei den Menschen ankäme. Es würden nicht nur 4 oder gar 5 Millionen Euro in der Kreiskasse gespart -die man dringend für Investitionen in Schulen und Infrastruktur braucht-, es wäre auch noch ein deutlicher Wachstumsimpuls für den Mittelstand."

Hierzu muss die Prekarisierung beendet werden, die mit den Hartzgesetzen im März 2003 begonnen hat, da insbesondere durch den Fortfall des Zumutbarkeitsschutzes beim Arbeitslosengeld der freie Fall der Löhne eingeleitet wurde. Wir brauchen eine neue Ordnung in der Arbeitswelt. Sie muss wieder auf die Füße gestellt werden.